Proslogion - Anrede
Vom Glauben, der Einsicht verlangt – fides quaerens intellectum
1 Zum Proslogion Anselms von Canterbury
Anselm, 1033 in Aosta, Norditalien geboren, schrieb das Proslogion 1077/78 als sein zweites Hauptwerk nach dem Monologion während seiner Zeit als Prior des Klosters Bec in Nordfrankreich. Er gab ihm den ursprünglichen Titel: fides quaerens intellectum - Glaube, der nach Einsicht verlangt.
Von 1093 bis zu seinem Tod in 1109 war Anselm Erzbischof von Canterbury und hat von daher seinen in der Geistesgeschichte üblichen Namen.
Berühmt wurde das Proslogion wegen des dort zu Anfang unternommenen Gottesbeweises – rein aus der Bestimmung des Begriffs, dass über Gott hinaus nichts Größeres und Würdigeres gedacht werden kann. Die im folgenden eingehend untersuchte Argumentation wurde später als "ontologischer Gottesbeweis" verstanden, als wäre es dem Proslogion nur um einen Existenzbeweis zu tun gewesen. Die rechtfertigende Einsicht erschließt sich aber nur aus dem Gesamtgefüge der Anrede, die sich an Gott selbst nur wenden kann, wenn sie in stellvertrender Rede die Seele des Menschen in seinen Denk- und Einsichtsvermögen anspricht.
2. Darstellung des Werks in seinem Argumentationsgefüge
In den folgenden elf Abschnitten I. bis XI. wird eine durchgehende Interpretation des Werkgefüges des Proslogion aus dem Zusammenhang von Reflexion in der Anrede und begrifflichem Durchdenken der jeweils in Anspruch genommenen Bedingungen und begegnenden Schwierigkeiten unternommen, die erstmals einen Weg aufzeigt, wie von diesem "schmalen" Werk Anselms her systematische Theologie in exegetischer Verantwortung ermöglicht wird.