Grundlegung trinitarischer Theologie

Anselm von Canterbury: Monologion

Die Bedeutung als Werk der theologischen Bildung von Urteilskraft und Einsichtsvermögen für das Gottes- und Selbstverhältnis als Person

1. Selbstdenken

Vom Verständnis seiner Titels her legt dieses erste Hauptwerk Anselms's von Canterbury seinen Akzent auf ein selbstständiges Denken, das – entsprechend seiner überlieferten Bestimmung, ein Gespräch der Seele mit sich selbst zu sein – eine Mitdenken an der Stelle jedes anderen eröffnet.

Es handelt sich darum nicht um ein Alleingespräch, ein sololoquium. Das monon ruft ein „ich habe selbst zu denken auf“, das sich dem Geltungsanspruch der Vernunft- und Beurteilungsvermögen im Geist widmet, zu dem die Vermögen der denkenden, aber auch der empfindenden Seele gehören. Die Empfindung im Erkennen als geistiges Vermögen wird an zentraler Stelle des Proslogion eine entscheidende Wendung für das Einsicht in Sein und Wesen des Göttlichen suchenden Denkens einleiten.

Das selbst Denken in der „Rolle eines, der mit sich durch bloßes Nachdenken das erörtert und erforscht, was er zuvor (prius) nicht beachtet hatte“ (M Prolog) ist ein reflektierend das zu Beachtende erschließendes Denken, das – wie das 1. Kapitel des Monologion (M 1) zeigt – vom Nichtwissen der Einheit des Grundes und des Maßes seines eigenen beurteilenden und vernünftigen Handelns ausgehen muß und im Vernunftanspruch des Denkens eine einsichtgewinnende Reflexion durch Entscheidungstellungen aus zu begründen notwendigen Beurteilungen und Bestimmungen der eigenen Leitbegriffe durchführt, in der es auf eine Ich-Rede nicht ankommt, da das Denken umwillen der Geltung der zu gewinnenden Einsichten in einem allen gemeinschaftlichen Sinne verfährt.

Das Monologion spricht auch, anders als das ihm als Werk folgende Proslogion, nicht in der Form einer Anrede, spricht andere nur in bereits vorlaufend angenommenem Mitdenken an. Ein solches Mitdenken in zur Rede gebrachten Sätzen und Fügungen wird von einem Mitsprechenkönnen her eröffnet, das in den frühen Kapiteln M 8 bis M 10 den Hervorgang des Logos als ursprüngliche Verbindung deutet. Dass Gottes ursprünglicher Geist sich nur in einem Mitsprechen der durch ihn schöpferisch ermöglichten Ebenbildlichkeit des Menschen zu denken ist, und dies uns durch den menschgewordenen Logos als das rettende Wort eröffnet ist, weist die Theologie in eine Gestalt, deren Bildung sie längst nicht ausgeschöpft und ihren Eröffnungsweg lange verkannt hat.

Die Rede im Werk des Monologion teilt Weisungen an die Angeredeten meist nur dort, wo sie gerade neben die Reflexionsrede der Vernunft unter der Anstrengung ihrer Besinnungtritt, so daß man sagen könnte, gerade dort, wo Anselm in der Ich-Form spricht, um etwas besonders zu verstärken, tritt er – oft mit Methodenhinweisen – neben den stellvertretend vorgeführten Mitweg, tritt aus der Haltung des „an der Stelle eines möglichen anderen Denkens“ heraus, ist gerade in der Ich-Rede nicht „monologisch“ in dem Sinne, wie es das Monologion uns zu erkennen gibt, d.h. als mitzuvollziehen darstellt.

Das im Sprechen sich bedenkend Monologische des Monologions setzt also dort ein, wo wir die Hinführung über das Naheliegende im Eingeständnis eines Nichtkennens je selbst ins Bewußtsein aufnehmen und mitdenken, was einer, es bekundend, „im Stillen so mit sich spricht.“ Was nun als eine sich dem zu Bedenken aufgenommen sich widmende, alles ichhaft Behauptende hinter sich lassend geführte Rede sich uns zu vernehmen gibt, verdankt sich einer Haltung, in der wir ganz in der Sachlichkeit der Wahrheit und Rechtheit suchenden Entscheidungsvernunft gefaß ihr als der folgen können, die unsere je eigene ist.

Die Ansprechbarkeit im Selbtbewußtsein eines jeden möglichen Denkenden, der sich bewußt ist, daß er wie jeder andere, der beurteilungsbedingt in seinen Entscheidungen handelt, jeweils das, was er erstrebt, für gut erachtet, führt zur Frage nach jenem Guten selbst, das in allem je etwas für gut Erachten für maßgeblich angenommen wird. Die Reflexion auf Bedingungen von Urteilskraft setzt ein mit der Vergegenwärtigung der Beurteilungslage im Verhältnis zu vielen Gütern, weist zur Besinnung auf das darin gebrauchte Maß als Begriff und lenkt so die Frage auf das Angenommensein des Guten selbst hin, das nun in allem ihm zuerkennbaren Sein rückgebunden bleibt an die Bedeutung als Maß in der tätigen Beurteilung von vielen Dingen als gut – oder als nicht gut.

2. Maßgabe in der Wendung gegen ein vergleichendes Ermessen

Im Werk des Monologion finden sich viele Stellen, die für die Entwicklung der vernünftigen Durchdringung von Glaubensgehalten wesentlich sind.

Eine weitere der für die Gotteserkenntnis nicht nur für die Theologie, sondern auch das sittliche Vernunfterkenntnis methodisch bedeutsamsten Stellen findet sich gegen Ende des 32. Kapitels. Es geht dort um den Gedanken an den „höchsten Geist“, dessen sich der vernünftige Geist in unserem Seelenvermögen bewußt sein kann, da er sich selbst bewußt wird:

Also ist jener höchste Geist, wie er ewig ist so ewig sich seiner bewußt und erkennt sich nach Ähnlichkeit des vernünftigen Geistes; doch nein, nicht nach Ähnlichkeit mit irgend etwas, sondern er ursprünglich und der vernünftige Geist nach Ähnlichkeit mit ihm.“ (Mon 32)

Ohne eine solche Wendung, die den Weg der Selbstbewußtwerdung des geistigen Erkennens und Verhaltens würdigt und Gottes Wesen als Geist gegenüber der Erfassung durch Kategorien der Substanz und der Relation zu unterscheiden hält (dies wurde in den Kapiteln bis Mon 27 vorbereitet), ist weder das Sein als „höchste“, noch das Prinzipielle des „höchsten Geistes“ annehmbar. Denn das Angenommenseinkönnen als Prinzip unter Gebrauch einer vergleichenden, grammatisch einen Superlativ bildende Urteilskraft muß die Wesenheit Gottes als Grund und Maß eben und genau noch für die Selbsterkenntnis als Geist der Seele geltend machen, die für sich und im Verhältnis zu ihren Bestimmungs- und Urteilsvermögen ein Vergleichsmaß in Anspruch nimmt.

Ihre Reflexion kann erkennen, dass für den Gedanken an ein „Höchstes“ die Vorstellungen eines Größenvergleichs, der Ausdehnung oder der Intensität nach in Gebrauch bleiben, die abzuhalten der bisher zurückgelegte Erkundungsgang im Monologion sich Überzeugung suchend bemüht hatte. Bereits im Einsatz sucht Anselm deutlich zu machen (in M 3), dass er unter „Größe“ für den beurteilenden Vergleich kein räumlich Großes verstanden wissen will, sondern für das zu schätzen „Größere“ an ein Würdigeres oder Besseres zu denken ist, also Würde und Gutheit als Maß gebraucht. Die sich unterscheidende Bedeutung kommt aber erst zum Tragen und ermöglicht, Würde und Güte als maßgeblich zu achten und in die Bestimmung des Gottesgedankens für das Bewußtsein des Verhaltens zu ihm eingehen zu lassen, wenn die geistigen Vermögen der Seele selbst (und nicht mehr ein durch sie vorgestellt Daseiendes) in den Vergleich treten. Statt eines Würdigkeitsvergleich, das noch mit dem Vergleichen von größerer oder geringerer Würde arbeiten würde, wandelt sich das Beurteilungsverhalten in ein das Maß der Würde selbst (und der Güte selbst) Annehmen, damit das geistige Verhaltens der Führung des beseelten, des lebendigen sich Verhaltens der Seele in der Bestimmung ihrer Vermögen entspricht.

Der menschliche Geist, in seinen Vermögen durch je die Seele eines Menschen auszuüben getragen, nimmt dann im Verhältnisgrund der Maßannahme an der Seinsgeltung der Würde selbst, der Güte selbst und damit am Sein des göttlichen Geistes als sich gebend und in Geltung haltend teil, während er sich als ein Maß annehmend zugleich auf ein Entsprechen hin ausrichtet, es also als das seine annimmt, das aber nicht schon erreicht und erfüllt ist, sich also selbst als der Anmessung und Entsprechung bedürftig weiß. Das Annehmen kann er aber nur wahren, wenn er das Maß als solches achtet und es als für sich maßgeblich gegeben als in dessen Bestimmung und Weisung zu befolgen in Geltung hält. Dazu muß er aber seine Vermögen als der Entsprechung fähig erachten, also mit der Gottesgabe des rechten Maßes eine Selbstachtung der geistigen Vermögen ins Leben bringen, die er verlöre, müßte er das maßgeblich Göttliche immer als „je größer“ und sich als „je unähnlicher“ mithin bleibend unfähig denken, eine Maßgabe von Gott, der sich selbst als er selbst zur Ebenbildlichkeit gibt, wahrhaft anzunehmen. 1

3.
Der in verehrender Rede angesprochen Geist des „Höchsten“ ist in Unterscheidung zum Gebrauch von qualitativ (im wie Beschaffen) oder quantitativ bestimmbaren Substanzen (wie sie in den Traktaten über die Substanz als Träger von Akzidenzien begriffen und behandelt werden) vielmehr in einer individuellen Subsistenz zu denken aufgegeben, die alle Wesenheiten nur in einer personalen Seinsweise zu Achtung in Erkenntnis bringt. Das vermag das sich Bewußtwerden in Vernunft nur mit jener Wendung, durch die im Selbstbewußtsein Maß und Grund für dessen Einheit im vernünftigen Geist (personaler Seele) als das Leitende erkannt und ausdrücklich in die Achtung genommen werden.

Es ist also etwas grundlegend anderes, wenn wir uns in wahrnehmendem Verstande zu irgend Gegenständen verhalten, seien sie nun in Erscheinungen gegeben oder als gegeben nur vorgestellt, und sie im Vergleich zu anderen Gegenständen, seien sie nun angeschaut und sichtbar oder nur gedacht und unsichtbar, zu ermessen suchen.

In der Achtung der Würde, in der die Haltung die für sie maßgebliche Bestimmung vom Geachtetwerdenden empfängt, stellt sie keinen Vergleich an, tritt aus einem mit Vorstellungen operierenden Beurteilungsverhalten heraus und übernimmt Verantwortung in Einsicht zur Geltung des ihr selbst als es selbst Maßgeblichen, das als ursprünglich gründend und ermöglichend sich in der Maßgabe zu erkennen gibt. Daraus ergibt sich auch das Ungewohnte und die Schwierigkeit in der Gedankenführung, weil der normalerweise in seinen Erklärungssuchen auf Anschauungs- und in Wahrnehmungsform ausgerichtete Verstand selbst keien anderen Mittel hat, als die seine Funktionen ihm gewähren, wie also aus einer gewohnten Verstandesbeurteilung uns in eine reflektierende, vermögens­achtende Haltung der Urteilskraft wenden.

Das Monologion vergegenwärtigt für die Orientierung seiner Gedankenführung im Anschluss an Augustinus, die platonische Unterscheidung des auf Anschauungsformen im Vergleich ausgerichteten Verstandes, dianoia, von der Vernunft, nous, in einer einsichtsbildenden Bestimmungsarbeit, mit der sich eine argumentativ und reflexiv sich eröffnender Bildungsweg gestaltet, der im Proslogion mit jenem einen Argument aufgenommen wird, das den Verstand mit dem, über das hinaus er nichts größeres, nichts würdigeres, nichts besseres zu denken vermag, in je beurteilend maßannehmende Selbsterkenntnis bringt, die das Monologion anstrebt und vorbereitet, mit dem Ausblick auf die trinitarische Struktur der Gotteserkenntnis aber auch umfängt.

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1 Zur Kritik von dogmatischen Formulierungen des 4. Laterankonzils, das sich nicht auf Anselms Bestimmungsreflexion des Gottesbegriffs (des majus cogitari nequit) berufen können und mit der Trennung der Vollkommenheitsarten des für Gott einerseits, für den Menschen andererseits Geltenden, keine angemessene Auslegung von Mt 5,48 aufnimmt, sie auch das Kapitel Größer als gedacht? in der Proslogion-Interpretation.

Die Maßgabe des „Ihr sollt Vollkommen sein wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist.“(Mt 5,48) kann denkend durch die Annahme der Ideen von geistigen Vermögen zur sinnvollen Anerkenntnis gebracht werden.



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